Der Ruf von Experten ist in der Öffentlichkeit sehr gespalten. Technischen Fachleuten oder Ärzten wird zum Beispiel in der Regel eine sehr hohe Glaubwürdigkeit zugesprochen. DAX-Vorstände, Architekturkritiker und Pädagogen haben es da schon schwerer, in der breiten Masse auf offene Ohren zu stoßen.
Diese Erfahrung musste jüngst auch Deanne Carson machen. Die Sexualpädagogin entfachte mit einem Vorschlag in den sozialen Netzwerken einen derartigen Proteststurm, dass sie kurz darauf ihr Facebook- und Twitter-Konto deaktivieren musste. Was war passiert?
Deanne hatte gegenüber dem Fernsehsender ABC von ihrer Organisation „Body Safety Australia“ berichtet, die sich gegen sexuellen Missbrauch von Kindern engagiert. Es gehe darum, so die Frau mit den auffällig violetten Haaren, Kindern einen selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Körper beizubringen. Zu ihrer Arbeit gehöre es daher auch, in Familien schon ab der Geburt des Kindes eine „Kultur der Zustimmung“ zu etablieren.
Um diesen Punkt zu verdeutlichen, brachte Deanne nun ein Beispiel, das für unglaublichen Wirbel sorgte. Sie forderte, schon Babys sollten vor dem Wickeln stets um Zustimmung gebeten werden. Eltern sollten innehalten, mit dem Kind Augenkontakt aufnehmen und es fragen: „Ich werde jetzt deine Windel wechseln, ist das okay?“
Diese Aussage war eine regelrechte Steilvorlage für Spott und Kritik:
- „Mein Baby liegt seit 4 Tagen in seiner versch***nen Windel. Ich warte immer noch auf seine Zustimmung.“
- „Hoffentlich hat das Kind auch vorher meine Zustimmung eingeholt, die Windel vollmachen zu dürfen!“
- „Und in ein paar Jahren frage ich meine Tochter: ‚Willst du in die Schule? Nö? Na, dann nicht.’“
Kommentare solcher Art waren noch lustig. Andere wurden deutlich aggressiv. Deanne wurde als „linke Verrückte“ beschimpft, erhielt sogar Morddrohungen. Das, was die junge Australierin eigentlich zum Ausdruck bringen wollte, ging in der hitzigen Debatte völlig unter.
Worum es eigentlich geht:
Denn Deanne ist durchaus klar, dass ein Baby nicht „Ja, Mama, nur zu“ antworten kann. Doch bereits Babys seien fähig, durch Signale und Körpersprache ihr Einverständnis zu geben. Vor allem geht es der Sexualpädagogin aber darum, dass Eltern dem Körper ihres Kindes mit Respekt begegnen sollen. Natürlich muss ein Baby gewickelt werden, auch wenn ihm das unangenehm ist – da kann es noch so viel schreien, wie es will.
Viele Eltern sind im Alltag allerdings allein darauf programmiert, mit „ihrem“ Kind so umzugehen, wie es „ihrer“ Ansicht nach die Situation gerade erfordert. Auf diese Weise wird das Kind von Anfang an daran gewöhnt, dass Erwachsene über seinen Körper bestimmen können. Im Fall von sexuellem Missbrauch – den das Kind ja nicht als solchen wahrnimmt, weil es Sexualität noch gar nicht versteht – besteht die Gefahr, dass dieser Mangel an körperlicher Selbstbestimmung dazu führt, dass das Kind den Übergriff über sich ergehen lässt.
Die allermeisten Fälle von Kindesmissbrauch finden im vertrauten Umfeld statt: in der Familie, in Institutionen und Vereinen. Deanne hat die Sorge, dass die körperliche Unsicherheit von Kindern zu leicht ausgenutzt werden könne, wenn sie nicht frühzeitig gelernt hätten, Nein zu sagen und sich gegen unangenehme Berührungen zu wehren.
Die Grundidee ist längst gang und gäbe
Ob Deannes Vorschlag, Babys beim Wickeln um Erlaubnis zu bitten, wirklich praxistauglich ist, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist aber auch, dass das Konzept, das hinter ihrem Vorschlag steckt, längst Teil von dem ist, was auch in pädagogischen Einrichtungen in Deutschland gang und gäbe ist: Kita-Erzieherinnen und -Erzieher werden angehalten, das Wickeln in einer freundlichen und geschützten Atmosphäre ohne Zeitdruck zu gestalten. Auch das Thema „Doktorspiele“ wird in den Kindergärten immer ernster genommen, damit die Kinder lernen, auf die Grenzen des eigenen Körpers und die des anderen zu achten.
Aus dem Kontext gerissen, hört sich so manche Expertenmeinung absurd an. Gerade beim Thema Erziehung erhitzen sich schnell die Gemüter. Ob sich Deannes Vorschlag in der Praxis umsetzen lässt, muss sich im konkreten Fall zeigen. Vielleicht klappt es, vielleicht auch nicht. Einen Versuch ist es immerhin wert. Denn der Gedanke, der hinter der „Wickel-Erlaubnis“ steht, ist viel zu wichtig, um bloß verlacht zu werden.
Quellen: brigitte, welt, bento
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