Auch wenn viele der folgenden Gebäude tatsächlich etwas Brutales an sich haben, leitet sich der Begriff „brutalistische Architektur“ nicht von „brutal“ ab. Er kommt unter anderem von der Formulierung „béton brut“ (nackter Beton), den die Vertreter dieser Architekturrichtung so sehr schätzten. Die Frage „Sind das nun Architektursünden oder Meisterwerke?“ muss jeder für sich selbst beantworten. Es spricht aber einiges für den Erhalt der teilweise monströsen Gebäude, wie du weiter unten erfährst.
Was macht brutalistische Architektur aus?
Wie eingangs erwähnt, ist eines der Kennzeichen brutalistischer Gebäude der rohe Beton (auch „Sichtbeton“), der nicht unter irgendwelchen Verkleidungen versteckt, sondern gezielt eingesetzt wird. Ebenfalls charakteristisch sind grobe geometrische Formen, wodurch manche der Gebäude wie eine Festung wirken. Entstanden ist diese Architekturrichtung in der Nachkriegszeit in den 1950er Jahren, sie blieb aber bis weit in die 1980er Jahre relevant.
12 Beispiele für brutalistische Architektur
1. „Rowley Way“ (wie oben, aber in Farbe), London/England
Rowley Way (offiziell „Alexandra & Ainswort Estate“) ist eine terrassenförmig angelegte Wohnanlage aus den 1970er Jahren, die ihren Bewohnern besonders luftige und helle Wohnungen bieten sollte.
2. Die „strahlende Stadt“ (Cité Radieuse), Marseille/Frankreich
Die von Le Corbusier entwickelten „Wohnmaschinen“ verwirklichen die Idee einer „vertikalen Stadt“. Denn sie bestehen nicht nur aus Wohnungen, sondern beherbergen auch Geschäfte, ein Schwimmbad, einen Park mit Spielplatz u.v.m.
3. Kapelle Notre-Dame du Haut, Ronchamp/Frankreich
Die 1955 erbaute Kapelle ist ebenfalls ein Bauwerk des Architekten Le Corbusier, der als Begründer des Brutalismus gilt.
4. Romanita, Chisinau/Republik Moldau
Der Wohnturm „Romanita“ wurde vom Architekten Oleg Vronsky entworfen und 1986 fertiggestellt.
5. Hayward Gallery, London/England
Was auf den ersten Blick wie ein hässliches Parkhaus oder ein Messegelände aussieht, ist die 1968 eröffnete Hayward Gallery in London.
Ein schönes Detail: Treppen in der Hayward Gallery.
6. Haus auf Hühnerbeinen, St. Petersburg/Russland
Dieses von Vitaly Sokhin entworfene Haus auf Säulen ist eines von vier gleichartigen Häusern, die 1988 fertiggestellt wurden.
7. Barbican Estate, London/England
Barbican Estate ist ein riesiger, zentral gelegener Wohnkomplex in London, der um die 2.000 Wohneinheiten umfasst. Die in den 1970er Jahren fertiggestellten Wohnungen sind alles andere als Sozialwohnungen, auch wenn sie danach aussehen. Eine 1-Zimmer-Wohnung kostet um die 600.000 Pfund.
Von Nahem sieht der Komplex so aus:
8. Institut für Robotik und Kybernetik, St. Petersburg/Russland
Das 1987 erbaute Institut für Robotik und Kybernetik ist ein gutes Beispiel dafür, dass Architektur einerseits Statussymbol, andererseits Inspiration im Alltag sein kann.
9. Sendergebäude Radio Kootwijk, Barneveld/Niederlande
Das filmreife – und tatsächlich auch für den Film „Mindhunters“ genutzte – Gelände von Radio Kootwijk wurde schon in den 1920ern gebaut.
10. Salk Institut, San Diego/USA
Das Salk Institut für biologische Studien wurde in den 1960ern nach Plänen des Architekten Louis Kahn erbaut.
Wie beeindruckend das Gebäude-Ensemble ist, wird aus dieser Perspektive und bei diesem Licht deutlich.
11. Geisel-Bibliothek, San Diego/USA
Dass Beton massiv und filigran zugleich wirken kann, zeigt die 1970 eröffnete Geisel-Bibliothek, deren Form an einen Baum erinnert, dessen Äste nach oben ragen.
12. Punjab and Haryana High Court, Chandigarh/Indien
Das Gerichtsgebäude des High Court in Chandigarh mit seiner charakteristischen Mischung aus Beton und Farbflächen ist ebenfalls ein Entwurf von Le Corbusier.
Was spricht für den Erhalt brutalistischer Architektur?
Ein Argument der Befürworter der brutalistischen Gebäude ist, dass ein etwaiger Abriss eine Verschwendung „grauer Energie“ wäre. Gemeint ist die Energie, die dafür aufgewendet werden muss, etwas herzustellen bzw. zu bauen, aber auch abzureißen. Außerdem wollen Architekturhistoriker die Gebäude als „Skulpturen im Raum“ verstanden wissen, die sowohl eine künstlerische als auch eine historische Daseinsberechtigung (sozusagen als „Zeitzeugen“) haben. Wenn alles Alte abgerissen würde, bliebe keine „lebendige Architektur“, sondern nur „Einheitsbrei“ übrig.
Was sagen die Gegner des Brutalismus?
Für den Abriss brutalistischer Überbleibsel beruft man sich häufig auf ihre Hässlichkeit (auch wenn man sich darüber natürlich streiten kann, wie man schon an den hier versammelten Beispielen sieht) und darauf, dass die Gebäude auch von ihrer Funktion her nicht mehr in ein modernes Stadtbild passten.
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Quelle: ndr
Vorschaubild: ©Flickr/Ádám Szedlák