Dass Haustiere durch Tierquälerei oder Verwahrlosung zu Schaden kommen, ist leider nur allzu bekannt. Weniger bekannt ist allerdings, dass Tiere nicht nur durch mutwillige Boshaftigkeit, sondern auch durch unsere übersteigerte Liebe und Fürsorge leiden können.
Denn obwohl wir es ja nur gut meinen, ist die Art und Weise, wie wir mit unseren Haustieren umgehen, für diese nicht selten problematisch – und manchmal auch für uns Menschen. Oft wissen wir es nicht besser.
Aufgaben eines Tierpathologen
„Ich glaube zwar, dass die meisten Haustiere einigermaßen ordentlich gehalten werden, aber wir Pathologen haben in den letzten Jahren viele schlechte Entwicklungen gesehen, wo weggeschaut wird und Tierhalter gar nicht wissen, welche Opfer sie ihren Haustieren abverlangen“, sagt der Berliner Tierpathologe Achim Gruber.
Gruber hat seine Erfahrungen in dem Buch „Das Kuscheltierdrama: Ein Tierpathologe über das stille Leiden der Haustiere“ zusammengefasst, um darüber aufzuklären, was bei der Haustierhaltung schiefläuft.
Nicht anders als ein Gerichtsmediziner beim Menschen ermittelt auch ein Tierpathologe durch Obduktion die Todesursache verstorbener Tiere. Das kann wichtig sein, damit zum Beispiel Zoos die Gefahr einer grassierenden Infektionskrankheit ausschließen können; damit bei Schadenersatzfragen geklärt werden kann, ob der Nachbar tatsächlich schuld am Tod der Katze ist; oder damit allgemein Verbrechen im Sinne des Tierschutzgesetzes aufgeklärt werden können.
Tier-Messie
Um seine Arbeit zu illustrieren, schildert Gruber beispielsweise einen Fall von Tierhortung (animal hoarding), dem krankhaften Sammeln und Halten von Tieren, bei dem weit über 30 Katzen und Kaninchen tot oder verwahrlost in einer Wohnung gefunden wurden. Teilweise hatten sie sich schon gegenseitig aufgefressen.
Die Tierpathologen ermittelten, welches Tier wann starb und wer wen fraß, um die Aussagen der Besitzerin zu widerlegen, sie sei nur zwei Tage weggewesen und hätte genug Essen und Wasser bereitgestellt.
Problematische Entwicklungen
Aber was Achim Gruber allgemein über die Haltung von Haustieren zu berichten weiß, ist nicht weniger bedenklich. So kritisiert er vor allem zwei Aspekte: einerseits den nicht artgerechten Umgang sowie andererseits die Folgen von Überzüchtung, insbesondere bei Hunden.
Haustiere wie Katzen oder Hunde leiden mitunter unter Übergewicht und mangelnder Bewegung. Dass sie den Großteil des Tages in der Wohnung verbringen, Herrchen oder Frauchen dabei die einzige Bezugsperson ist und die Tiere kaum Kontakt zu Artgenossen haben, kann ihnen psychisch zu schaffen machen.
Problematische Nähe
Aber auch die körperliche Nähe wird zunehmend zum Problem. Die Halter bauen eine starke emotionale Bindung auf, betrachten die Tiere teilweise als Familienersatz und Seelenverwandte und lassen sie am Esstisch sitzen oder im Bett schlafen.
„Heute ist das Haustier vielmehr Sozialpartner, gerade in einer Großstadt wie Berlin, in der so viele Menschen allein leben. Der Hund darf mit ins Bett, das ist in Ordnung, wenn die Hygiene stimmt“, meint Gruber.
Denn wenn die Hygiene nicht stimmt, besteht die Gefahr der Übertragung von Krankheiten. Sowohl von Tier auf Mensch – zum Beispiel in Form von Bandwürmern –, aber auch von Mensch auf Tier.
Todeskuss
So berichtet Achim Gruber von einem Fall, bei dem ein Chinchilla an einer mysteriösen Hirnentzündung gestorben war. Chinchillas sind Nagetiere aus den Anden, die dort vom Aussterben bedroht sind, während es in deutschen Kinderzimmern mehr von ihnen gibt als in ihrer Heimat.
Es stellte sich heraus, dass die Hirnentzündung durch menschliche Herpesviren verursacht wurde. Wie sich das Chinchilla damit anstecken konnte, wurde klar, als Gruber die Besitzerin, ein zehnjähriges Mädchen, sah: Das Mädchen hatte noch Herpesbläschen an den Lippen und ihrem Haustier damit buchstäblich den Todeskuss gegeben.
Hündischer Eunuch
Bei einem anderen Fall litt ein Rottweilerrüde unter Haarausfall und Schrumpfhoden. Er zeigte keinerlei Interesse mehr an den Hündinnen in der Nachbarschaft und wurde allgemein lethargisch.
Das Problem war, dass Frauchen unter starken Wechseljahren litt und jeden Abend vor dem Schlafengehen eine Östrogencreme auftrug. Weil der Rottweiler aber zu Frauchen ins Bett durfte, kam er in Kontakt mit der Creme und zog sich schließlich eine Östrogenvergiftung zu. Er wurde dadurch zu einer Art Eunuch.
Nachdem die Ursache erkannt und behoben werden konnte, wuchs dem Rottweiler das Fell nach, seine Hoden wurden größer und er legte wieder die gewohnte Energie an den Tag – auch in Bezug auf das andere Geschlecht.
Überzüchtung
Das andere große Problem der Haustierhaltung sieht Achim Gruber in der Überzüchtung. Vor allem Hunde werden mit vermeintlichen Schönheitsidealen herangezüchtet, die aber der eigentlichen Anatomie der Tiere zuwiderlaufen und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problem führen.
So sollen insbesondere Möpse und Französische Bulldoggen immer menschenähnlicher werden: „Die Schnauze wird weggezüchtet, die Augen flach nach vorn, die Stirn hoch, der Kopf schön rund“, so Gruber. Und weiter: „Solche Tiere haben unter Belastung oder bei Hitze enorme Schwierigkeiten zu atmen, zu hecheln, Thermoregulation zu betreiben.“
Manche dieser Tiere sterben im Hochsommer durch Überanstrengung an Hitzschlag. Auch versuchen sie, im Sitzen zu schlafen, da ihnen sonst der Erstickungstod droht.
Merle-Effekt oder nackt
Andere Hunde werden mit dem sogenannten Merle-Effekt herangezüchtet, einem besonderen Muster des Fells. Das Gen allerdings, dass für diesen Effekt verantwortlich ist, ist auch für Taubheit verantwortlich, sodass die Tiere mit hoher Wahrscheinlichkeit taub geboren werden oder in jungen Jahren taub werden.
Nacktkatzen hingegen werden zusehends komplett haarlos gezüchtet, also auch ohne Tasthaare, wodurch sie sich beispielsweise bei Dunkelheit nicht mehr artgerecht orientieren können oder die Kommunikation mit Artgenossen eingeschränkt ist.
Zudem liegt oft der Irrtum vor, dass Nacktkatzen anhänglicher seien als andere Katzen. Der Grund für ihre vermeintliche Anhänglichkeit dürfte aber vielmehr darin liegen, dass ihnen kalt ist und sie Wärme suchen.
Achim Gruber möchte zum Wohle der Tiere auf diese Problematiken aufmerksam machen und darüber aufklären. Er sagt, die Tiere sollten wieder Tiere sein dürfen. Dazu gehört auch, sie wieder mehr wie Tiere zu behandeln, anstatt sie zu vermenschlichen.
Wie der Herr, so das Gescherr: Hier erklären wir dir 9 nervige Tierbesitzer-Typen, die wohl leider jeder kennt.